Mensch und Natur: Ein Beitrag zu der Theorie des "Homo Universus" Bolesław Andrzejewski,
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Uralt ist die Frage: "Was ist der Mensch?" Uralt und äußerst schwer zugleich. Wir wissen nicht genau sowohl wann "der Mensch" erschienen ist als auch was sein eigenstes Wesen ausmacht. Soll man "den Menschen" mit der geraden Haltung, mit seiner Neigung zur künstlerischen oder symbolischen Gestaltung, mit der Sprache oder vielleicht mit der Fähigkeit sich seines Intellects zu bedienen und Abstracta zu schaffen, verbinden? Alle die (sowie auch zahlreichen anderen) Auffassungen beleuchten den Menschen von einer bestimmten Seite, und tragen damit zu einem besseren Verstehen seiner Eigentümlichkeit bei. Hier wollen wir noch eine Theorie hinzufügen, die ein zusätzliches Licht auf "den Menschen" werfen kann. Es geht um die Auffassung des Menschen in mannigfaltigsten Verflechtungen mit der Umwelt. Die Umwelt wird weit begriffen und bedeutet sowohl das unmittelbare Milieu des Menschen als auch den ganzen Kosmos. Der letzte soll nicht nur als das Materiell-Sichtbare verstanden werden, sondern als Etwas, was neben der Materie auch das beinhaltet, was wir "Geist" zu nennen pflegen. Den Menschen wollen wir also als innigst verbunden mit dem allumfassenden "Universum" verstehen, mit Dem, was erfahrungsmäßig bekannt und erreichbar ist, aber auch mit Dem, was noch der heutigen Erfahrung entflieht und oft als "unnatürlich" oder "geheimnisvoll" bezeichnet wird. Es ist klar, daß eine solche Theorie des "homo universus" im Mißklang mit den aufklärerischen oder positivistischen Auffassungen steht. Alle die wollen den Menschen nicht nur von den "unerforschbaren" Weltereignissen "loslösen", die sie für "metaphysisch" halten. Sie wollen auch den Menschen von der sonstigen Natur abgrenzen und ihn als den selbstständigen und von der Umwelt wenig abhängigen Subjekt ansehen. Erwähnen können wir in diesem Zusammenhang I. Kant, der die Welt "entzweit" und sie in die dem Menschen gegenüber existierenden "Dinge an sich" und in die "Erscheinungen" (Dinge für uns) teilt. Der Mensch gewinnt zwar über die Noumena die Oberhand im Erkentnisprozeß indem er sie zur "Erscheinungen" macht, er steht aber letzen Endes ihnen gegenüber einsam und ratlos indem sie vor ihm für ewig gechlossen bleiben. Ähnlich steht es mit J.G. Fichte. Fichte versuchte zwar den Kantschen Dualismus zu überwinden und den Menschen mit der Natur zu vereinigen. Dies wollte er aber auf eine spezifische Art und Weise tun. In seiner "Bestimmung des Menschen" (1800) ruft Fichte ja, daß er Herr der Natur werden will und die Natur ihm dienen solle. Die Theorie des "homo universus" fußt daher auf einer anderen philosophischen Tradition. Die Tradition können wir als "ramantiesierende" oder sogar "romantische" bezeichnen, weil sie, abgesehen von zahlreichen anderen Andeutungen, ihre vollkommenste Entfaltung in der neuzeitigen Romantik gefunden hat. Ihre Wurzeln liegen aber tief in der philosophischen Vergangenheit. Unsere Aufgabe liegt daher nicht soviel in der Konstruktion vom Anfang der gefragten Konzeption des Menschen, als vielmehr in der Verbalisierung des schon in der Geschichte implizite Vorhandenen. Die Intuitionen zur Verbindung des Menschen mit der sichtbaren sowie mit der unsichtbaren Umwelt reichen in die frühe Atike. In der abendländischen Philosophie haben wir mit den universalistischen Welt- (und damit Menschen-) Auffassungen schon bei den Vorsokratikern zu tun. Für Heraklit aus Ephesus mündet die ganze Wirklichkeit in einem allumfassenden Phänomen (Gestz). Sowohl die Materie als auch der Mensch samt allen seinen Eigenschaften und Erzeugungen unterliegt dem Logos. Der letzte "schwebt" zwischen verschiedenen Teilen des Universums und macht sie durch seine Vermittlung zur Einheit. Heraklit entdeckt zuerst den Logos in der Sprache, nichtdestoweniger aber schreibt ihm eine viel weitere Funktion zu. "Der 'logos' ist zugleich Gesetz der sprachlichen und der außersprachlichen Wirklichkeit: dieselbe r a t i o, dieselbe N o r m, dasselbe O r d n u n g s p r i n z i p, das Heraklit in der Wirklichkeit sieht, entdeckt er in der Rede, deshalb kann 'logos' zugleich Rede und 'Weltgesetz' bedeuten (1) . Dieselbe Methode der Weltdeutung haben die Pythagoräer gewählt. Die Welterscheinungen, sowohl die "endlichen" als auch die "unendlichen", sowohl die angehörenden der äußeren Natur als auch die verbundenen mit den menschlichen Handlungen, machen eine harmonische, in der Zahl verzauberte Ordnung aus. Überall klingt dieselbe "kosmische Musik". Über die pythagoräische "Weltsymphonie" und über die mathematisch-harmonische Welteinheit und -ganzheit schreibt einer der Antik-Forscher folgendes: "If harmony in music was based upon the presence of ordered mathemaical relations, and if similar mathematical ralations pervade the entire cosmos and the world of experience, then the entire world, ourselves included, must be involved in a harmony. The "music of the spheres" is thus the harmony among the haevently bodies" (2) . Der Gedanke von der engen Verflechtung des Menschen in die kosmischen Ereignisse hatte oft seine Wiedergeburt erlebt. Im Mittelalter kann beispielsweise die Mystik erwähnt werden. Meister Eckhart sucht Harmonie der ganzen Natur unmittelbar im Gott. Weil Gott Eins ist, ist auch jeder Gegenstand und jede Person Eins. Alles in Allem bildet die Einheit. "Das Eine bleibt gleichmäßig Eins in tausendmal tausend Steinen wie in vier Steinen, und Tausendmaltausend ist ebenso gewiß eine einfache Zahl, wie die Vier eine Zahl ist" (3) . Zu dieser Harmonie gehört selbstverständlich auch der Mensch, der durch die Einheit im Gott zum "homo universus" wird. Fortgesetzt wird diese Idee bei Nikolaus von Kues. Er spricht schlechthin von einer Wahrheit, weil es für ihn nur eine Einheit gibt, und "wer nicht in der Einheit die Wahrheit berührt, kann nichts wirklich und wahrhaft wissen" (4) . Lassen wir die und zahlreiche ähnliche Theorien beiseite und kommen zu der schon angedeuteten romantischen Konzeption der Natur. In der deutschen Romantik kommt auch die Theorie des "homo universus" zum Ausdruck, noch ohne ihre exacte Explikation. Als Begründer der systematischen Romantik kann, abgesehen von ihrer Vorläufern, F.W.J. Schelling mit seinen frühen Schriften: "Neue Deduktion des Naturrechts" (1795), "Ideen zu einer Philosophie der Natur" (1797) oder "Von der Weltseele" (1798), gelten. Auf dem Spinozschen Pantheismus fussend spricht Schelling von einer "Indifferenz" in der Natur und von der "Identität" aller ihrer Teile. Identisch sind auch der Geist und die Materie, weil nach Schelling "die Natur der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur sein soll". Die Welt ist für ihn ein "identisches" Universum, von Anfang an beseelt, belebt und organisch. Auf dieser Weise ist auch der Mensch ein "identischer", dadurch aber auch ein vollberechtigter und verantwortungsvoller Teil des Universums. Diese implizite in seinem System enthaltene These sollte Schelling zuerst für seine methodologische Zwecke dienen. Am Anfang Kantianer und Fichteaner kam er mit der Zeit auf die Idee, dass eine Welterkenntis nicht möglich sei bei der Voraussetzung, daß der Mensch von der Welt verschieden ist und sich ihr gegenüberstellt. Schelling macht einen umgekehrten Vorschlag, der eigentlich zur Parole für die echte romantische Bewegung wird: "Soll ich das Unbedingte realisieren, so muß es aufhören, Objekt für mich zu sein. Ich muß das Letzte, das allem Existierenden zu Grunde liegt, das absolute Sein, das in jedem Dasein sich offenbart, als identisch mit mir selbst... denken (5) . Es gibt also für Schelling "kein Subjektives und kein Objektives", es gibt allein die "absolute Identität beider..." (6) . Diesen Weg gehen alle Romantiker, indem sie die Welt als das Universum, als die identische Ganzheit aller ihrer Teile auffassen. Es gibt für sie keinen qualitativen (wenn schon dann einen quantitativen) Unterschied auch zwischen dem Menschen und dem sonstigen Universum. In dem weit verstandenen menschlichen Leben und in den sonstigen Naturereignissen haben wir mit derselben Substanz und mit derselben Gesetzen zu tun. Darüber werden alle Romantiker einig. Der Mensch ist mit der Natur Eins nicht nur in seiner Existenz auf der ontologischen Ebene. Es existiert zwischen beiden auch eine psychische, emotionale und kommunikative Verbindung. In diesem Sinne sagt Novalis: "Wird nicht der Fels ein eigentümliches Du, eben wenn ich ihn anrede? Und was bin ich anders, als der Strom, wenn ich wehmutig in seine Wellen hinschaue und die Gedanken in seinem Gleiten verliere?" (7) . Für die meisten Romantiker gehört dieser harmonische Weltzustand leider zur Vergangenheit. Diese "Ruine der goldenen Zeit" ist die Selbstschuld des Menschen, der sein ratio zu stark dem Gefühl gegenüber entwickelt und sich dadurch aus der Natur entfremdet hat. Gebrochen wurde auch der gegenseitige Dialog, der einst Attribut des Universums gewesen war. "Ich hörte einst von alten Zeiten reden - klagt Novalis - wie die Tiere und Bäume und Felsen mit den Menschen gesprochen hätten. Mir ist gerade so, als wollten sie allaugenblicklich anfangen und als könnte ich es ihnen ansehen, was sie mir sagen wollten. Es muß noch viele Worte geben, die ich nicht weiß" (8) . Novalis und andere Romantiker werden nicht müde in dem Streben, diesen gebrochenen Dialog und die verlorene Harmonie wierderherzustellen. Eine große Chance sehen sie in dem Wiedererlernen der einst bekannten Natur-Sprache. Und diese haben noch am vollkommensten die Dichter behalten. Die Dichter also, mit ihrer gefühls- und reimvollen, musikalischen, mit dem Naturrhytmus ausgestatteten Sprache, können unsere Führer durch die Natur sein. Sie sind, wie es Hölderlin im Gedicht "Brot und Wein" bezeichnet, "heilige Priester des Weingottes, die vom Land zu Land wandern in die heilige Nacht". Die Nacht wird hier als das Nicht-Wissen, als Verlorenheit des Menschen in der Natur verstanden. Die Dichter haben noch die Gabe behalten, uns zurück zu der Natur (zu unserem Zuhause) zu bringen. Nach Novalis stehen die Poeten als Menschen in enger Verbindung mit dem Universum und dank ihrer Sprachfähigkeiten sind sie Zauberer, Alleswisser und Alleskönner. Sie sind noch Menschen, "die durch den seltsamen Klang wunderbarer Werkzeuge das geheime Leben der Wälder, die in den Stämmen verborgenen Geister aufgeweckt, in wüsten, verödeten Gegenden den toten Pflanzesamen erregt und blühende Gärten hervorgerufen, grausame Tiere gezähmt und verwilderte Menschen zu Ordnung und Sitte gewöhnt, sanfte Neigungen und Künste des Friedens in ihnen rege gemacht, reißende Flüsse in milde Gewässer verwandelt und selbst die totesten Steine in regelmäßige tanzende Bewegungen hingerissen haben. Sie sollten zugleich Wahrsager und Priester, Gesetzgeber und Ärzte gewesen sein..." (9) . Diesen Zustand des "homo universus" beschreibt Novalis in der Vergangenheit - heute gibt es ja "viele Wörter, die der Mensch nicht weiß". Helfen könnte dem Menschen die Rückkehr zu der uralten, zu der natürlichen und allgemein bekannten Sprache, wenn möglich zu der non-verbalen Sprache der Musik, der Gebärde oder des Gesichts. Manche Romantiker sind jedoch der Meinung, dass auch die heutige, schon artikulierte und verbale Sprache die Einheit des Universum in sich enthält. Um diese "Identität" zu beweisen benutzen sie als Beispiele zahlreiche sprachliche Phänomene. Meister in dieser Beweisführung sind F.v. Baader und G.H. Schubert. Für den ersten bedeutet die Ähnlichkeit solcher Wortpaare, wie "Sohn" und "Sonne" (im Englischen ist diese Ähnlichkeit noch deutlicher: "son" und "sun") oder "Kultur" und "Kultus", daß die menschliche und die außermenschliche, sei es himmlische oder göttliche Welt indifferent sind. Dies zeigt die Sprache. Schubert beruft sich u. a. auf solche griechische Wörter wie "eris" und "eros" - dieselbe Wurzel bezeugt, ihm nach, daß die heute im Gegensatz begriffenen: "Haß" und "Liebe" einst ganz nahe gewesen sind. In der Sprache sei auch die Identität von "warm" und "kalt" verharrt, was das italienische Wort "caldo" und das deutsche Wort "kalt" beweisen. Auf dieser Weise ist für Schubert alles Eins und identisch. "Raserei und ruhige Besinnung, Finsternis und Licht, das schwere Metall und der leichte Vogel, Luft und Eisen, die Bezeugungen der Freude und der Trauer, niedrig und hoch, sinnliche Lust und Entmannung, und alle in ihrer Bedeutung noch so entgegengesetzt scheinende Worte gehen auf dieselbe Weise aus gemeinschaftlicher Quelle hervor" (10) . Alle die beigebrachten, vor allem die letzen Beweise klingen mehr oder weniger wissenschaftlich, mehr oder weniger naiv. Wichtig ist aber ihr Endzweck, und dieser ist die Beseitigung der menschlichen Entfremdung aus der Natur und seine Rückkehr "nach Hause". Nur der "homo universus", der Mensch mit vollem Bewußtsein seiner innigsten Verbindung mit der Natur, kann die zivilisatorische und die technokratische Krise überwinden. Nur der "homo universus" kann versuchen die "Sprache der Natur" vom neuen zu verstehen und die Signale der Umwelt wahrzunehmen, ehe sie zu seinen "Sterbeglocken" werden. Der romantische Aufruf wurde in unserer Zeit aufgenommen, und zwar auch von den "Größten". M. Scheler warnt gegen die "Entseelung" und "Entlebendigung" der Welt. In seiner These der "Weltsympathie" "spricht" das Universum eine universale "Mimik" und "Pantomimik", und, wie es bei Scheler wörtlich heißt, man muß wieder lernen die Natur als die "Brust des Freundes" zu sehen. Erwähnt werden soll in diesem Zusammenhange auch M. Heidegger. Nicht nur dadurch, dass er in seinen Werken gerne an die Poesie anknüpft. Heidegger ist Neuromantiker auch in diesem Sinne, daß er in seiner "fundamentalen" Ontologie tief in die Existenz der Welt und des Menschen hineingeht. Die Umwelt und der Mensch machen keine Gegensätze aus. Ganz umgekehrt - sie leben in einer Harmonie, in der beide voneinander lernen können. Ähnlich wie früher die Romantiker schlägt auch Heidegger eine "freundliche" und taktvolle Haltung der Natur gegenüber vor. Der Mensch soll auch manchmal "schweigen" und "zuhören". "Das Hören auf... ist das existentiale Offensein des Daseins als Mitsein für den Anderen. Das Hören konstituiert sogar die primäre und eigentliche Offensein des Daseins für sein eigenstes Seinkönnen, als Hören der Stimme des Freundes, den jedes Dasein bei sich trägt" (11) . Aus den obigen Erwägungen zeigt sich, wie wichtig in der ganzen Ideengeschichte die Frage der gegenseitigen Verhältnisse zwischen der Natur und dem Menschen gewesen ist. Sehr oft wurde die Einheit und Harmonie zwischen beiden Teilen des Universums betont. Diese mehrmals beschriebene Stellung des Menschen im Kosmos und das daraus resultierende Wesen des Menschen haben wir "HOMO UNIVERSUS" genannt. Das Bewußtsein der allseitigen Verflechtung des Menschen und der weit verstandenen Umwelt soll besonders heute, in der Zeit des zivilisatorischen Überflußes, der Umweltverschmutzung und der existentiellen Bedrohung besonderen Widerhall finden und an Bedeutung gewinnen. |
Notes (1) Vrgl.: E. Coseriu - Die Geschichte der Sprachphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart, Tübingen 1975, Bd. 1, S. 25 (2) D.A. Hyland - The origins of Philosophy, New York 1973, S. 132 (3) Meister Eckhart - Werke, Frankfurt am Main 1995, Bd. 2, S. 325 (4) N.von Kues - Drei Schriften vom verborgenen Gott, Hamburg 1967,S.2 (5) F.W.J. Schelling - Neue Deduktion des Naturtrechts, in: Sämtliche Werke, Stuttgart und Augsburg 1856, Bd. 1, S. 247 (6) F.W.J. Schelling - Schriften 1804 - 1812, Berlin 1982, S. 47 (7) Novalis - Die Lehrlinge zu Sais, in: Werke in einem Band, Berlin und Weimar 1983, S. 97 (8) Novalis - Heinrich von Ofterdingen, ebenda, S. 111 - 112 (9) Ebenda, S. 128 - 129 (10) G.H. Schubert - Die Symbolik des Traumes, Bamberg 1814, S. 79 - 80 (11) M. Heidegger - Sein und Zeit, Tübingen 1986, Max Niemeyer, S.163 |