Kultur und friedliche Überlegenheit
GESINE PALMER
Vorbemerkung
Einleitend
bekommen Sie von mir die Skizze eines Vortrags, den ich nicht halten werde.
Er trüge den Titel „Kulturen, die eher sub sind“. Und wenn
er schon ein virtueller Vortrag ist, dann kann er ebenso gut ein Film sein.
Ein Film, in dem etwas als „Kultur“ erkannt, beschrieben oder geadelt
wird, das als solche nie ins Zentrum medialer Aufmerksamkeit gerückt wurde.
Kulturen, die eher sub sind, sind ja nicht einmal Subkulturen, sie leben nicht
von subversiven oder kämpferischen Programmen, sondern sie haben sich so
entwickelt, unterhalb dessen, was man die Höhe irgendeiner Kultur nennt,
und treten vielleicht erst im Augenblick ihres Untergangs ans Bewußtsein
wenigstens derjenigen, die sie nun verlieren - wenn sie überhaupt an irgendein
Bewußtsein treten. Damit sie, bevor sie ganz verschwunden sind, schnell
noch richtige Kultur werden, könnte man ihnen einen Dokumentarfilm widmen,
zum Beispiel dem Berliner Hauswartswesen. Das wäre kein „comedy-strip“
wie „Hausmeister Krause“ im Fernsehen. Der langsame aber anscheinend
unaufhaltsame Abschied vom Hauswartswesen würde nicht einem schenkelklopfenden
„Hamwirjelacht“ überlassen bleiben, sondern er würde Thema
eines kleinen Trauerfilms. Die Blockwartaspekte des Hausmeisteramts würden
nicht verschwiegen werden, und es dürfte auch durchaus zum 147sten Mal
festgestellt werden, daß Plastikrehe in Berliner Hinterhöfen selbstverständlich
Kitsch sind (hamawadochallejelernt)– aber es würde auch gezeigt,
wie die Nachbarin, die sich von der Warte ihres sehr viel höheren Kulturbewußtseins
aus stets besonders ausgiebig über das Rehlein lustig gemacht hat, in der
standesüblichen Ironie bemerkt, sie hätte sich nun so an das Reh und
an das Hausmeisterehepaar gewöhnt, daß sie den Wegzug der gesamten
Einheit, bestehend aus Hauswartsfrau, Hauswart und Reh, dann doch irgendwie
bedauerlich findet. Wer wollte könnte dann, Mitspielen der Kamerafrau vorausgesetzt,
sehen, daß die Frau wirklich traurig ist und selbst etwas entsetzt darüber,
wie schwer der Verlust des Hinterhofkitsches sie trifft. Ähnlich könnte
man sich aufmachen und die Ortsvereine der SPD besuchen, die vielleicht immer
noch in niedrigen Lokalen stark rauchend tagen und einander unverdrossen als
Genossen anreden, während die Genossen an der Spitze sich in etwas zu engen
Maßanzügen bewegen und eine Politik forcieren, die all diesen kleinen
Kulturen der Selbst- oder Mitbestimmung mittelfristig hochwirksam an den Kragen
gehen.
Die Pointe dieses
ungedrehten Films und des ungehaltenen Vortrags wäre dabei nicht gewesen,
für die linke oder kleinbürgerliche Westkultur eine ähnliche
Abschiedsnostalgie zu produzieren wie man sie immer wieder als „Ostalgie“
geschmäht hat. (So nannte man es gern, wenn ehemalige DDR-Bürger sich
mit oft doch berechtigtem Schreck und verständlicher Wehmut an einige Elemente
ihrer Kultur erinnerten, deren Verschwinden unaufhaltsam zu sein schien, und
wenn sie an manchen von deren Elementen Wiederbelebungsversuche unternahmen.)
Es wäre mir vielmehr darum gegangen, sowohl analytisch als auch anschaulich
die „kultivierenden“ Leistungen jener kleinen und kleinsten Institutionen
zu würdigen, in denen die sogenannten kleinen Leute einen über die
unmittelbare Selbsterhaltung im globalen Verwertungsprozeß hinausgehenden
Willen und ein entsprechendes Interesse auf alltägliche Weise artikulieren
konnten. Es wäre auch ein Plädoyer geworden, ein Plädoyer dafür,
diese kleinen und kleinsten Elemente der Teilhabe an einer Kultur als etwas
mehr als eine wichtige „Resource“ für die Selbsterneuerung
der „großen“ Kultur ernstzunehmen und nicht leichtfertig darauf
zu verzichten. Ich hätte fragen wollen, was eigentlich an die Stelle dieser
Institutionen und Gepflogenheiten tritt, wenn sie wirklich verschwinden, und
wie lange es dauert, bis irgendeine neue Alltäglichkeit wieder den Status
einer Kultur zugebilligt bekommen kann, sei es auch den einer Kultur, die eher
sub ist, und ob sie dazu erst unter- oder sub-gehen muß. Ich hätte
versucht, herauszufinden, ob sich auch in den neuen sogenannten Unternehmenskulturen
oder –philosophien solche Elemente der Selbstbestimmung und der Möglichkeit,
einen über die bloße Selbsterhaltung hinausgehenden Willen zu artikulieren,
ausmachen läßt – und das Ganze wäre vielleicht ein ganz
anregendes Stückchen geworden.
Aber dann habe ich mich entschieden, den anderen Titel zu wählen, den Sie hier sehen. Denn je länger ich über das erste Thema nachdachte, desto mehr fand ich mich in einer Art Kampfzone wieder. Mir schien, man müßte diese kleinen Kulturen, auf die ich durchaus einige Liebe verwenden wollte, gegen sehr viel verteidigen, vor allem aber gegen eine Art unsterblichen Vulgär-Nietzscheanismus, der in dem, was man den Kulturbetrieb nennt, immer noch gang und gäbe ist. Entweder würde man sich am Ende mit diesem eben doch gemein machen und die häßlichen Hausmeister von einer Position aus verlachen, die sich erhaben dünkt, oder man würde sich selbst des Muckertums verdächtig machen, das schmuddelige Kleinkariertheit und ressentimentgeladene Spießigkeit aufzuwerten versucht, als wäre das noch nötig, als fehlte es uns nicht vor allem an anderem Größerem Schönerem. Gewiß wäre mir schon etwas gegen beides eingefallen, gewiß hätte ich einen kleinen Punkt machen können, indem ich meinerseits über Menschenpark-Phantasien hergezogen wäre mit dem Spruch „Es beklagen sich Leute, die mit Schönheit wahrhaftig nicht geschlagen sind, darüber, daß andere Menschen nicht schön sind“, und Handke hätte ich vielleicht gerettet, weil seine letzte Publikumsbeschimpfung allem Anschein nach wenigstens Elemente von Selbstironie hat, und irgendwie hätte ich mir gerade so ein Plätzchen sichern können zwischen Muckertum und Menschenpark. Aber wohin hätte uns das im übrigen geführt? Ich hätte ein kleines Feuerwerk abgebrannt; das ist auch etwas Schönes, und vielleicht findet sich ja irgendwann jemand, der mit mir oder an mir vorbei diesen Dokumentarfilm dreht, der mehr wird als ein Feuerwerk von netten Formulierungen. Mir selbst ist aber während des Nachdenkens immer wichtiger geworden, die Probleme von Kampf, Ressentiment, Überlegenheit und Unterlegenheit und das Thema von oben und unten in allem Reden über Kultur noch einmal grundsätzlicher zu stellen, wozu haben wir mich schließlich studieren lassen. Ich werde zu diesem Zweck erst das Wort Kultur in einigen seiner Verwendungsweisen erläutern, dann den Begriff der „friedlichen Überlegenheit“ durchprobieren.
Vier Weisen,
das Wort „Kultur“ zu gebrauchen
Die folgenden vier Definitionen von Kultur dienen der Orientierung. Sie wollen
nicht die ganze Welt und auch nicht alles, was man jemals Kultur genannt hat,
erklären.
1. ist Kultur die „Kultivierung“ alles Rohen und Unkultivierten, mag man dieses nun als geschaffen oder als „Natur“ ansehen. In diesem Sinne kommt der Begriff beispielsweise in den folgenden Komposita vor: Kulturland (bearbeitetes gegenüber naturbelassenem Land), Kulturheuchler (das ist einer, der heuchelt, kultiviert zu sein, in Wahrheit aber, wo immer man die Wahrheit nun meint erkennen zu dürfen, ein ungehobelter Klotz ist), Streitkultur (gegenüber dem unkultivierten Streit vermutlich ein Regelsystem, das Möglichkeiten und Grenzen des Streitens bestimmt), Kulturfolger (eine Tierart, die sich gern in von Menschen kultivierten Gegenden aufhält), Kulturbeutel (das Gefäß, in dem man die Dinge aufbewahrt und transportiert, mit denen man seine eigene physische Materie, Natur oder Kreatürlichkeit, in einen, wie man so sagt, gepflegten Zustand bringt). Kurzum, alles was das sogenannte nackte Leben bekleidet. Wie man an den Inhalten der Kulturbeutel vor hundert Jahren noch erkennen konnte, gibt es verschiedene Weisen, Haut, Haare, Zähne und Fingernägel zu pflegen – und so bezeichnet der Begriff Kultur
2. also eine bestimmte Kultur in Abgrenzung von einer anderen, also eine bestimmte Art und Weise, das Nichtkultivierte zu kultivieren in Abgrenzung zu einer anderen bestimmten Art und Weise, das entsprechende Nichtkultivierte zu kultivieren. Das nackte Leben ist allen gemeinsam, it doesn’t have to do with black and white, aber wie man es anzieht, das hat zu tun mit schwarz und weiß. (Das mag im Falle des Kulturbeutels etwas nivelliert sein, ich nehme an, daß man vom Inhalt eines Kulturbeutels gegenwärtig zwar vielleicht auf das Einkommen und den Geschmack eines Menschen schließen kann, aber seine Zugehörigkeit zu einer etwa national oder regional bestimmten Kultur wird sich angesichts globaler Verbreitung der meisten Pflegeprodukte kaum noch ausmachen lassen). Die mediterrane Kultur unterscheidet sich dennoch in vieler Hinsicht von der ostasiatischen und diese von der vorderasiatischen. Aber in allen Kulturen wird nicht Manna oder Gras gegessen, sondern in der Regel ißt man angebaute und verarbeitete Produkte, nur die einen essen Weißbrot und Oliven, die anderen Reis und scharfe Gemüse usw. In beiden Kulturen wird gesprochen, musiziert, gekocht, gemalt, gerichtet, gebetet, geliebt, getrauert und genäht, (um die Reihe von Levi-Strauss etwas zu erweitern) aber man tut es auf je verschiedene Weisen. Ähnlich unterscheidet sich innerhalb einer nationalen oder regionalen Kultur die „Jugendkultur“ von der Beamtenkultur etwa in Kleidungsgepflogenheiten, Tischsitten und bevorzugtem Floskelgebrauch, und ebenso die ostdeutsche von der westdeutschen, die rheinländische von der friesischen. Dies gilt, sofern von verschiedenen staatlich organisierten Gebilden die Rede ist, für Recht, Wirtschaft und Gesundheitssystem, aber Unterschiede von einzelnen Kulturen innerhalb eines Staates (oder über die Grenzen mehrerer Staaten hinweg, vgl. etwa die kurdische Kultur) manifestieren sich vor allem auf dem Gebiet, das mit der dritten Bedeutung des Wortes „Kultur“ bezeichnet wird, ich komme also
3. zu der Bedeutung von „Kultur“ als einem speziellen Ressort innerhalb einer nationalen Kultur, zu Kultur in Abgrenzung zu Wirtschaft, Staat und Recht. So funktioniert der Begriff in Komposita wie Kulturressort, Kulturteil einer Zeitung, kulturelle Zuammenarbeit im Unterschied zu juristischer oder religiöser usw. Kulturkampf im Unterschied zu militärischem oder politischem Kampf, und noch in der im Deutschen seltsamen Bildung „Kultusministerium“, in dem es tatsächlich auch um das kultische Element der Kultur geht. In diesem dritten Sinne wird der Kulturbegriff denn auch gebraucht, wenn man etwa zum Thema „Religion und Kultur“ etwas sagen soll oder den Begriff Kulturprotestantismus erklären will.
4. kann man den Begriff Kultur kaum entbehren, wenn man einen „Fall“ von Mißverständnis, Scheitern oder Fehlverhalten analysiert und sich um Zurechnungsfragen sorgt. Das Mißverständnis zwischen Einzelnen kann eines sein, das die Menschen sich allein oder einander individuell anlasten. Solange sich die betroffenen Menschen mit der Idee gegenüber stehen, sie seien nichts als dieser oder jener moralisch voll verantwortliche Einzelne, kann es dann zu einer harten Auseinandersetzung kommen – und in dem Augenblick, in dem sie einander auch als Angehörige verschiedener Kulturen begreifen, kann das Wissen um eine kulturelle Differenz zur Klärung des Mißverständnisses führen und die Individuen entlasten. Man denke sich etwa ein schwarzafrikanisches Zimmermädchen in einem schweizerischen Hotel, das den Auftrag bekommt, das Zimmer für einen hohen Gast besonders schön herzurichten und nun munter daran geht, die bunteste denkbare Zusammenstellung von Handtüchern und dergleichen in diesem Zimmer zu deponieren. Die geschmackvolle englische Hausdame begutachtet das Arbeitsergebnis und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, weil hier wirklich unzumutbar chaotisch mit den Wäschefarben umgegangen wurde. Solange die Hausdame von kultureller Gemeinschaft ausgeht oder von der Frage kultureller Verschiedenheiten überhaupt absieht, kann sie leicht auf die Idee kommen, die Afrikanerin sei persönlich geschmacklos, dumm oder böswillig, und wird sie entsprechend tadeln. Weiß sie aber, daß das Bunte für einen hohen afrikanischen Gast, wie ihn das Zimmermädchen sich vorstellen mag, gerade bunt genug wäre, dann wird sie sie (ihre eigene Gutwilligkeit vorausgesetzt) freundlich auf den Unterschied aufmerksam machen und ihr erklären, daß der amerikanische hohe Gast seine Handtücher lieber Ton in Ton haben wird. Man könnte also das Mißverständnis auffassen als ein Mißverständnis zwischen zwei Individuen – oder als ein Mißverständnis zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen.
Dieser letzte Sinn
des Wortes ist nahe an dem zweiten, ich sondere ihn dennoch ab, und zwar aus
folgendem Grund: Bei der Abgrenzung einer Kultur gegen eine andere kann man
leicht glauben, rein deskriptiv zu verfahren, und die Sache sei nach vollendeter
Beschreibung offen für Bewertungen aller Art: Diese Kulturen könnten
in ihrer Verschiedenheit gleich gewertet werden, sie könnten einander tolerieren,
bekämpfen, imitieren, was auch immer. Aber wie man das Verhältnis
der Kulturen untereinander auch definieren mag, ob als Kampf, als wechselseitige
Bereicherung oder Relativierung, immer werden dabei Kulturen als Akteure gedacht.
Individuen spielen in dieser Rede nur eine Rolle, sofern sie Teile einer Kultur
sind, sie werden zu „Repräsentanten“ dessen, was ihnen ihre
sogenannte kulturelle Identität gibt. In meinem vierten Sinn des Wortes
Kultur geht es aber um die Vermischung und Entmischung von individuellen und
kulturellen Bestandteilen in einem Konflikt, der in erster Linie zwischen Individuen
ausbricht; die kulturelle Definitin oder Selbstdefinition der Individuen wird
dabei zu einem wichtigen Aspekt des Konflikts, aber sie bleibt in Relation zu
einzelnen Menschen, deren Verhältnis zu ihrer jeweiligen Kultur in der
Regel erheblich komplexer ist als das Repräsentations- oder Identifikationsverhältnis,
das man bei der Rede vom Kampf oder Dialog der Kulturen still vorauszusetzen
pflegt, und bei dem man allzu leicht vergißt, daß es jenseits der
spezifischen Kulturen immer auch noch sehr individuelle Verantwortung als sehr
universale Verpflichtung gibt oder geben soll. In den Kontext dieser Relation
von universaler und individueller Verantwortung, egal wie sie kulturell ausformuliert
wird, muß man die Konflikte zwischen den einzelnen Kulturen immer noch
einordnen, so scheint mir, und darüber, wo das eine anfängt und das
andere aufhört, geht auch die Differenz zwischen den beiden verteilten
Texten. Kipling glaubt, der weiße Mann habe eben die schwere Aufgabe,
alle unterentwickelten und infolgedessen naturgemäß undankbaren Völker
zur Verantwortung zu erziehen, Scott-Heron ist Teil einer Bewegung, die dieser
Arroganz energisch und in einem anderen kulturellen Medium (mit richtig geiler
Musik, wenn man mich fragt) entgegentritt; aber er zieht – verantwortungsvollerweise,
wenngleich ohne Dankbarkeit gegen mögliche weiße Erzieher –
eine Grenze für kulturelle Differenzen und Rivalitäten. Wo es um die
Möglichkeit universaler Zerstörung geht, sind alle betroffen. Und
so lädt er alle ein, auch eine schöne Formulierung, sich zu engagieren.
Diese vier Unterscheidungen erschöpfen den Begriff bei weitem nicht und sollen wie gesagt nur der Orientierung in meinem Text dienen. Die alte Debatte über den Unterschied zwischen Kultur und Zivilisation halte ich für abgeschlossen mit dem Schlußsatz eines Textes des Frankfurter Instituts für Sozialforschung zu diesem Thema, der hier noch einmal zitiert sei, weil er so schön ist: „Hat einmal die Zivilisation so sich ausgebreitet und befreit, daß es keinen Hunger mehr auf der Erde gibt, dann wird sie das erfüllen, was alle Kultur bis heute vergebens nur versprach.“ [1]
Im übrigen
kann man wohl diese gesamte Debatte ebenso wie die um die Kulturphilosophie
und um den Kulturpessimismus meinem ersten Bereich zuordnen: in alledem geht
es darum, wie gut oder schlecht das menschliche Leben kultiviert ist, ob und
wie ihm ein immer bleibender Rest von Unkultiviertem und Unkultivierbarem gegenüber
steht, und ob es gut sei, diesen Rest zu lassen und ihm zu mehr Recht zu verhelfen,
oder ob im Gegenteil das menschliche Leben als das beste anzusehen sei, in dem
die Kultivierung des Unkultivierten am besten und möglichst restlos geglückt
sei. Ich werde auf diese Frage zurückkommen. Auch die Diskussion über
die Tragödie der Kultur, die Georg Simmel angestoßen hat, beschäftigt
sich mit ihr, und noch Adornos verwerfender Satz, nach dem nach Auschwitz alle
Kultur Müll ist, wird auf diesem Gebiet gesprochen und setzt wie selbstverständlich
voraus, daß es einen Gegensatz zwischen Kultur und Barbarei gibt. Dabei
steht „Barbarei“ als Anderes zur Kultur deswegen quer zu den üblichen
Diskursen, weil man bei Adorno nicht umhin kann zu sehen, dass sie selbst Teil
der Kultur sein kann, sofern sie selbst etwas „Gemachtes“ ist. Debatten
über den Kampf der Kulturen und den Kulturrelativismus befinden sich entweder
ganz im Gebiet der zweiten Definition oder auf der Mitte zwischen der ersten
und der zweiten. Kipling findet es selbstverständlich, daß das Kultiviertere
das Bessere ist und daß deswegen die weiße Kultur denen der brauneren
und alberneren Völker überlegen ist. Seine bestimmte Positionierung
im Bereich der 1. Definition gibt also die Position für die Positionierung
im Bereich der 2. Definition vor. Bei Rousseau und in den Theorien von edlen
Wilden wäre es formal ebenso, inhaltlich entgegengesetzt: Weil man in dieser
Fraktion im Bereich von Definition 1. findet, daß die größere
Nähe zur Natur und die geringere Kultivierung derselben „besser“
sind, hält man auch im Bereich von 2. die einfacheren Kulturen für
die überlegenen und fordert die eigene als zu kompliziert empfundene zu
entsprechenden Lernleistungen auf. Die dritte Definition habe ich zwischen die
zweite und die vierte gesetzt, weil sich speziell in Auseinandersetzungen zwischen
Einzelnen im Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Kulturen die ersten
emotionalen Konflikte regelmäßig auf dem Gebiet abspielen, das dem
„Kulturressort“ oder, wenn man in Verwaltungseinheiten denkt, den
Kultusministerien im engeren Sinne zugeordnet ist: Türkische und deutsche
Kinder geraten in der Schule aneinander, religiöse Feiertage und kulturelle
Kleidungs- und Geschmacksdifferenzen bestimmen Attraktion oder Aversion, und
gerade die Haltung zu Problemen von Überlegenheit und Unterlegenheit mag
ein hartes rechtliches oder religiöses oder wirtschaftliches Fundament
haben – sie gewinnt die sicht- und fühlbare Gestalt doch am ehesten
auf dem Gebiet der Kultur im dritten Sinne, hier werden Häuser auf den
Fundamenten errichtet, aber hier wird möglicherweise auch die Lunte gelegt,
die zur Sprengung solcher harten Fundamente führen könnte.
Überlegenheit
als Problem
In seinem Aufsatz „Rasse und Geschichte“ von 1952 schreibt Claude
Levi-Strauss: „Rein logisch, könnte man sagen, ist denkbar, daß
jede Kultur unfähig ist, eine andere Kultur richtig zu beurteilen, weil
eine Kultur nicht aus sich herauskann und ihre Urteile demnach in einem unüberwindlichen
Relativismus befangen bleiben. Aber[…] weit davon entfernt, sich gegeneinander
abzukapseln, erkennen vielmehr alle Zivilisationen nach und nach die Überlegenheit
der westlichen Zivilisation an“.
[2]
(Die natives, von denen Kipling schreibt, sind also
auch nicht mehr das, was sie mal waren). Als Levi-Strauss dies schrieb, konnte
es einem Europäer wohl wirklich so vorkommen, als erkennten einfach alle
Kulturen nach und nach die westliche als die überlegene an. Aber er wäre
nicht der Levi-Strauss, als den wir ihn kennen, wenn er diese Feststellung nicht
sogleich wieder bezweifelt hätte. Er weist darauf hin, daß die „Option
für die westliche Lebensweise oder einige ihrer Bestandteile weit davon
entfernt ist, so spontan zu sein, wie der Westen es gerne annimmt. Sie ist weniger
das Ergebnis einer freien Entscheidung als des Fehlens anderer Möglichkeiten.“
[3]
Mit anderen Worten: Es handelt sich gar nicht um eigentlich
freiwillige Anerkennung der Überlegenheit der westlichen Kultur durch solche
Kulturen, die sich selbst als unterlegen erkennen und deswegen ihre ursprünglicheren
eigenen Gepflogenheiten aufgeben, sondern es handelt sich um eine Art Zwang,
unter dem es den anderen Kulturen mit der Verwestlichung nicht schnell genug
gehen kann. Das lag ja auch in der Logik seiner Argumentation: wenn niemand
aus seiner Kultur heraus kann, können wir eben deswegen die Anerkennung
durch die anderen Völker nicht als Bestätigung einer höheren
Weihe für unsere Kultur verbuchen.
Der Umschlag in diesem Anerkennungsverhältnis, den Levi-Strauss vorausahnte, ist inzwischen nicht mehr zu übersehen, andere Kulturen kämpfen seit längerem um ihren eigenen Anspruch auf Überlegenheit. In der westlichen Kultur haben sich manche „Kulturträger“ dafür entschieden, den Kampf aufzunehmen, indem sie die eigene Überlegenheit verteidigen, andere, indem sie sich zu Fürsprechern der vielen lieben anderen Kulturen machen und noch die Reste von einem als „patronizing“ charaktrisierten Überlegenheitsgebaren in ihrem Kampf um Multikulturalismus auszumerzen versuchen. Beide Entscheidungen haben ihre Probleme.
Die erste Position,
also Wiedereinsetzung einer möglichst wissenschaftlichen Behauptung von
der Überlegenheit der westlichen Kultur als der einzig wahren gegenüber
dem „anything goes“ des Multikulturalismus, wurde schon 1984 von
Clifford Geertz trefflich karikiert und kritisiert in seinem Essay Anti-Antirelativismus.
Die zweite Entscheidung, möglichst unvoreingenommen die fremden Kulturen
mit ihren Gepflogenheiten zu respektieren, hat aber – gegen Geertz äußerst
amüsant zu lesende Aufräumarbeit – nicht nur ewiggestrige Kritiker,
die mit dogmatischen Wahrheitsbehauptungen auf die überschätzten Gefahren
eines moralischen Relativismus einprügeln, sondern sie hat auch ein ernstes
Problem: Sie neigt zu einer bis zur Schläfrigkeit gehenden Toleranz gegenüber
den barbarischen Maßnahmen, die fast alle Kulturen zunächst einmal
gegen ihre eigenen Insassen verhängen, und vor denen diese einzelnen Häftlinge
ihrer Kultur (zum Beispiel von Genitalverstümmelung oder Steinigung bedrohten
Frauen) oft nur bei je anderen Kulturen oder bei der Idee einer über allen
kulturellen Differenzen stehenden Moral Zuflucht suchen können.
Damit komme ich zu dem Problem an der Vorstellung von Überlegenheit, das sie überhaupt im Zusammenhang mit Kultur erwägenswert macht und wenigstens die Suche nach friedlicher Überlegenheit nicht nur arrogant erscheinen lassen muß. Ich glaube ich kann sagen: Man kommt gerade als einzelnes mehr oder weniger kultiviertes und in mehr oder weniger schlimme Widersprüche verwickeltes Menschenwesen manchmal nicht umhin, sich Überlegenheit zu wünschen, sei es auch nur, um einem entsetzlichen Unterlegenheitsgefühl abzuhelfen, das als Problem in jeder Kultur (und in jeder meiner oben gegebenen vier Bedeutungen von Kultur) auftritt.
Überlegenheit, sagen wir vielleicht erstmal vorsichtiger, das Gefühl der Überlegenheit, ist schwer zu ergattern, und wenn man sich plötzlich einmal irgendwo wirklich überlegen glaubt, ist dieser Zustand wiederum nicht leicht genießbar, sondern – jedenfalls bei uns – mit Verkrampfungen eigener Art verbunden. In aller Regel schützt uns in unserer Kultur ein fest verwurzelter Aberglaube oder eine Art Schamgefühl davor, uns selbst als überlegen zu deklarieren, und zwar gerade da, wo wir uns für wahrhaft überlegen halten. Dem scheint zu widersprechen, daß wir doch alle unsere Überlegenheit in fest definierten Zusammenhängen permanent demonstrieren, etwa wenn wir pflichtgemäß optimistisch sind hinsichtlich einer sportlichen oder unternehmerischen Leistung oder wenn wir in irgendwelchen Kommissionen sitzen und Produkte oder Leistungen anderer begutachten dürfen und sollen. Aber eine ganz andere Sache ist die eigentlich überlegene Geste, die wir als kultiviert und jederzeit als Maßstab für die Kultiviertheit anderer empfinden: Hier liefert vor dem Gericht unseres Schamgefühls wohl derjenige die beste Vorstellung, der sagt: „Kultur (im Sinne von 1) hat immer der andere“. Denn nur wer so spricht, scheint das als die höchste Kulturleistung anzuerkennen, was uns möglicherweise am schwersten fällt: eine gewisse Zurücknahme noch des Geltungsdrangs, der das Bemühen auch um die friedlichste Überlegenheit antreibt. Die Zurücknahme des Geltungsdrangs scheint aber ebenso bedrückend zu sein wie die Beschränkung der erotischen und aggressiven Strebungen, als deren Folge Freud das Unbehagen der Einzelnen in dem, was er noch ganz selbstverständlich im Singular „Die Kultur“ nannte, ansah. Dies ist sicher schon dann so, wenn wir um der Kultur willen und um der Überlegenheit willen mit der Darstellung unseres Gefühls überlegener Kultiviertheit zurückhalten. Es genügen uns für den dabei entstehenden Druck in der Regel allerdings die gewöhnlichen Ventile, etwa das Lachen über dümmliche unkultivierte Neureichen oder kleinkarierte Hausmeister und die tadelnde oder amüsierte Abstrafung von Angebern etc. Für den Rest sorgt die Fähigkeit, sich hinsichtlich der unsicheren und gierigen Natur der eigenen Überlegenheitsgefühle ein paar wohltuende Illusionen zu machen. Je größer der Druck der Zurückhaltung, desto nötiger ein solches Ventil, das ist wohl wirklich ziemlich hydraulisch, aber immerhin kommen wir mit einer gewissen vornehmen Zurückhaltung und unserem Stolz auf dieselbe meist einigermaßen durchs kultivierte Leben. Richtig empört reagieren wir indessen, wenn wir den Eindruck haben, jemand anders aus einer anderen Kultur zwinge uns zu solcher Zurückhaltung und mindere damit unsere so teuer erkaufte Kulturleistung in ihrem Wert. Wenn der weiße Mann nicht mehr als Träger einer teuren Last anerkannt, sondern als anmaßender Herrscher und Ausbeuter beschrieben wird, wird er dann und wann wütend, nämlich dann, wenn der Vorwurf ein Schuldgefühl und möglicherweise gar eine wirkliche Schuld trifft. Symptomatisch sei folgender Satz von William Gass zitiert, der selbst sarkastisch sein will: „Eine der Belastungen für die weiße Rasse war das starke Gefühl der Überlegenheit, und diese Bürde wurde, nachdem sie ihr genommen war, ersetzt durch ein ebenso bedrückendes Gefühl der Schuld“. [4]
Die Anspielung auf Kiplings Gedicht „The White Man’s Burden“ ist deutlich – und während die Bürde des weißen Mannes in Kiplings Gedicht immer noch mit Würde getragen werden kann, weil die anderen Völker eben einfach zu blöd sind, kann man das Gefühl der Schuld einer ganzen Kultur gegen alle anderen Kulturen nun wirklich gar nicht ertragen, denn es wird, anders als das von Freud besonders im Mann Moses beschriebene Schuldgefühl gegen den Urvater, durch kein Überlegenheitsgefühl wegen irgendwelcher Fortschritte in der Geistigkeit mehr „gratifiziert“. Als Zögling der deutschen Kultur des 20. Jahrhunderts hat man durchaus etwas Erfahrung damit, was heraus kommt, wenn in einem geistigen Schnellschuß mit derartig lästigen Schuldgefühlen aufgeräumt werden soll: In der Regel ein einziges Gemaule gegen die bösen Menschen und Untermenschen, die einem doch tatsächlich das Überlegenheitsgefühl vermiesen wollen, das man so gerne als ein einfaches Normalitätsbewußtsein verkappen und still genießen würde, würden einen nicht die ewigen Quengler zu permanentem Lautherausschreien zwingen. Mit einer solchen Haltung ist theoretisch und moralisch recht schnell fertig zu werden: Wer sich dabei beruhigt, daß die anderen schuld sind, wenn es uns mit unserer herrlichen Überlegenheit so elend schlecht geht, ist wohl eher ein Mucker. Aber auch die Nichtmucker, die den Muckern lieber überlegen sein und nicht allzu viel darüber reden möchten, haben ja noch ein Problem mit der genannten Verkrampfung, die vielleicht eine Art Kollaps wegen eines zu großen Fortschrittes in der Geistigkeit ist. Mag man noch, gegen die Behauptung von Levi-Strauss, daß es unmöglich sei, die eigene und die Fremde Kultur zu beurteilen, weil man nie aus der eigenen heraustreten könne, irgendwelche genialen Gründe dafür auffahren, daß es eben doch möglich ist, bleibt ein weiteres Problem:
Innerhalb unserer
Kultur, also derjenigen, die so etwas wie Kulturwissenschaften hervorgebracht
hat und schon vorher seit Jahrhunderten darüber philosophierte, was Kultur
sei, ist es augenscheinlich anrüchig, einfach nur triumphal aufzutreten.
Es gilt als geradezu unkultiviert. Kultiviert ist, wer sich gerade nicht demonstrativ
in die Brust wirft und sagt, schaut her, ich bin euch allen überlegen.
Allerdings – dieses Dilemma ist uns spätestens seit Nietzsche und
Freud bekannt – hat dann also jemand, der bescheiden auftritt, mindestens
für sich selbst vor irgendeiner inneren Instanz den Eindruck, denjenigen,
die unbescheiden auftreten, überlegen zu sein. Demutshybris, sagen die
Frankfurter, Umwertung der Werte, beklagte Nietzsche, und fand es schlimmer
als schade, nämlich unaufrichtig, unredlich.
Friedliche
Überlegenheit?
Wer wie Geertz einen Anti-Antirelativismus favorisiert, muß noch nicht
alle Positionen teilen, die unter dem Namen „Relativismus“ geführt
werden. Wer gegen die Demutshybris argumentiert, muß deswegen nicht ein
Anwalt der wahren unhybriden Demut in allen Lebenslagen sein, und wer die Umwertung
aller Werte beklagt, muß vielleicht nicht durchaus zurück wollen
in eine Welt, in der Helden noch Helden waren und in der der weiße Mann
seine Bürde noch mit Stolz und Würde trug und nebenbei durchaus einige
Vorteile aus seiner Herablassung zur Beschäftigung mit seinen Gefangenen
zog. Und doch kann man die Vorliebe fürs, wie soll ich sagen, fürs
Größische, fürs heroisch Antike, für Herrenmoral gegen
Sklavenmoral (jüngst erst wieder in einer ganz erstaunlichen und wirklich
originellen Variante bei Jan Assmann in der moasischen Unterscheidung zu Ehren
gekommen) und dergleichen wohl nicht nur dem für unseren Kulturbetrieb
typischen Vulgär-Nietzscheanismus anlasten. Er ist schon auch bei Nietzsche
selbst zu finden. Und Nietzsche ist deswegen so nachhaltig in Mode gekommen,
weil er etwas traf. Was?
Getroffen hat Nietzsche
sicher den unsterblichen und in vermutlich jedem Menschenkind irgendwann auftretenden
Wunsch, erstens auch mal überlegen zu sein und zweitens dieses Gefühl
dann auch frei und ungestört zu genießen. Er sagt uns ja nichts anderes
als daß es eine bestimmte Kultur war, nämlich die „jüdisch-christliche“,
die uns den ehrlichen Kampfgeist und die reine Freude an errungenen Siegen mit
ihrer Rancune und ihrer Sklavenmoral vergällt hat. Da ich mich hier aber
nicht solide auf Nietzsche-Exegese einlassen kann, ziehe ich vor, einmal ein
Beispiel für einen gesunden Heroismus anzuschauen, das seit Jahrhunderten
und weiterhin tapfer als Kulturgut auch in den höheren Schulen der „jüdisch-christlichen“
Kultur vermittelt wird, nämlich Julius Caesar.
Gaius Julius Caesar
war möglicherweise einer der letzten großen Vertreter einer Herrenmoral,
die in unseren Jahrhunderten immer wieder die höheren Söhne in Ekstase
versetzt. Mag er uns allen aus dem Schulunterricht als großer Kriegsheld
in Erinnerung sein: Er selbst muß seine usurpatorische Aneignung aller
Macht und seine aktive Aushöhlung der republikanischen Verfassung auf seine
persönliche und zwar auf eine friedliche Überlegenheit zurückgeführt
haben. Die Quellen bestätigen, daß er immer wieder mit seinen inneren
Feinden eher milde umging – sobald sie einmal unterworfen waren, versteht
sich. Wenn Sallust ihm den schönen Ausspruch „imitari quam invidere
bonis malebant“ in den Mund legt, mit dem Caesar für Milde gegen
die catilinaischen Verschwörer plädiert haben soll, dann gab es dafür
einen multikulturellen Hintergrund: Diese guten Maiores, die von den Griechen
die drakonischen Strafen übernommen hatten, weil sie weiserweise von den
Eroberten mitnahmen, was gut war, hatten doch auch ein eigenes Mittel, das der
Begnadigung, das, so Sallusts Caesar, erheblich effizienter sei für die
Wiederherstellung der inneren Ordnung.
Zu meiner Schulzeit
pflegte man sich über das selbstherrliche „omnia Gallia pacata“
sarkastisch zu ereifern: befriedet, das hieß ja wohl unterworfen, friedlich
in Hinsicht auf Rom, mit wohlgefüllten Friedhöfen usw., also keineswegs
in erster Linie zum eigenen Frieden erzogen wie die sullen peoples in Kiplings
Gedicht wenigstens dem Anspruche nach. Und die Bemühung um Ruhe und Freiden
im Innern dient bei Caesar ebenso selbstverständlich nur der Maximierung
seiner persönlichen Macht. Anders als der wachsame Emporkömmling Cicero
geruhte Caesar denn auch, die Verschwörung gegen ihn selbst weder aufzudecken
noch sich durch Personenschutz gegen dergleichen zu wappnen. Martin Jehne schreibt:
„Es dürfte dabei auch eine gewisse Überheblichkeit mitgespielt
haben: Caesar demonstrierte auf diese Weise seine Überlegenheit gegenüber
allen Regungen kleinkarierter Ängstlichkeit. […] Am Abend vor den
Iden des März soll er bei einem Bankett, als das Gespräch auf die
Frage kam, welcher Tod wohl der angenehmste sei, spontan geäußert
haben: >Der unerwartete!<. Ein weiteres Diktum charakterisiert Caesars
Haltung noch deutlicher: >Es ist besser, einmal zu sterben als sich ständig
zu fürchten<.“
Wer möchte
angehörs solcher Äußerungen nicht vermuten, daß er zwar
vielleicht nicht gewußt hat, was konkret bevorstand, aber doch so viel
geahnt hat, daß er eine besonders feine Variante der überlegenen
Schicksalsergebenheit als letztes Mittel zum Einsatz brachte? Er hatte die Möglichkeiten
dessen, wozu er andere Menschen bewegen könne, so weit vorgeschoben wie
es nur ging – und das war weit. Die Republik hatte sozusagen überwiegend
selbsttätig abgedankt. Man hatte ihm die Ehre erwiesen, ihn scheinbar freiwillig
für überlegen zu halten, was erheblich schmeichelhafter ist als sich
die Überlegenheit mühselig durch Unterdrückung zu erkämpfen,
aber mit der Hegelschen Herr-Knecht-Dialektik und der Feststellung, dass der
Herr diese Schmeichelei nur ernstnehmen und genießen kann, wenn er seinerseits
die Unabhängigkeit des Knechtes und seines Urteilsvermögens anerkennt,
will ich Sie nicht langweilen. Caesar scheint umstandslos ihren Implikationen
entsprochen zu haben und zudem ein kalter Held gewesen zu sein; er rechnete
nicht mit ewigem Leben, er wehrte sich nicht, als andere stärker waren
als er, und noch die berühmte Frage „auch du, mein Sohn Brutus?“
scheint mehr registrierendes Erkennenwollen als persönliche Enttäuschung
auszudrücken. Ein Risikospieler ganz nach dem Geschmack aller Heldenverehrer
– und in der Tat interessanter durch seinen Vezicht auf Personenschutz
als durch irgendwelche Gewaltmärsche mit großen Legionen durch finstere
Wälder zum Zwecke der militärischen Überwältigung von Volksstämmen,
deren technische und kulturelle Unterlegenheit ihm auch schon vorher klar gewesen
sein kann.
Dennoch, an dieser
Stelle kippt der Heroismus wohl schon wieder um und spielt herüber in unsere
sogenannt jüdisch-christlichen Umwertungen. Denn unser Held Caesar hat
ja mit seinem überheblichen Verzicht auf Personenschutz gerade nicht gewonnen.
Er ist auf überraschend unspektakuläre Weise einfach getötet
worden, und von einer Auferstehung, die ihn als den eigentlichen Sieger auch
aus dieser Situation hervorgehen lassen würde, ist nirgends die Rede. Also
eigentlich keine Überlegenheit, eher ein falsches Gefühl von Überlegenheit,
Überheblichkeit eben? Und Friedlichkeit auch nur aus der Siegerposition
heraus, die blutig erstritten worden ist, ebenso die Bereitschaft, die Sitten
anderer Kulturen in ausgewählten Fällen und wo es nützlich schien
zu übernehmen? Wenn man die Umwertungen von der schwersten Niederlage in
den größten Sieg, die mancher im Auferstehungsdogma sieht, vermeiden
möchte, dann kann man kaum verstehen, warum noch Caesars Tod eben doch
als heroisch empfunden werden kann. Aber er ist in einer bestimmten Wertordnung
heroisch, weil er die Tugend zu zeigen scheint, die Freud als letzte zu verteidigen
hatte: Ergebung in das Schicksal. Aber ist das wirklich eine friedliche Tugend,
friedlicher als die Versuche, gegen das Schicksal, wenn es denn so etwas geben
muß, aufzubegehren, die unsere monotheistischen Religionen und unsere
gesamte „evolutive“ und revolutionengeschüttelte schöne
abendländische Kultur kennzeichnen?
Für die Ergebung,
die Freud zu meinen scheint, ist das wenigstens bestreitbar. Denn Ergebung in
das Schicksal schließt bei ihm Ergebung in die Notwendigkeit des Kampfes
ein. Der in sein Schicksal ergebene Held wird so lange kämpfen, wie es
lohnt, und das Kämpfen aufgeben, wo es aussichtslos ist. Er wird sich der
Notwendigkeit, den Vater zu ermorden, nicht entgegenstellen – und es ist
wiederum im Mann Moses, dass Freud sagt: Die Christen sind diesem Schicksal
nicht entgangen. Sie haben die Juden schwer dafür zahlen lassen, nämlich
für ihre eigene christliche Illusion, sie könnten diesem Schicksal
entgehen. Welche der drei in Frage kommenden Kulturen, ob die hellenische Heroenkultur
oder die jüdische Kultur oder die christliche Kultur, Freud für überlegen
hält, ist nicht zu auszumachen, er scheint in jeder etwas Starkes und etwas
Schwaches zu finden, und mir scheint, die meisten Versuche der vergangenen Jahre,
sein Werk über Mose zu verstehen, haben ein je eigenes kleines kulturkämpferisches
Interesse an die liegengebliebenen Fäden geknüpft, das hier nicht
mehr im einzelnen erörtert werden kann. Mir ging es einstweilen nur um
die Frage, ob es in irgendeiner der in unserer Kultur überlieferten Formen
des Heroismus Grund gibt, die Möglichkeit friedlicher Überlegenheit
zu denken, oder ob eben in dem Gegeneinanderhalten von Überlegen und Unterlegen
immer schon ein kämpferisches und also tendenziell kriegerisches Moment
ist.
Schlußbemerkung
in der Form eines möglicherweise zu haltenden Plädoyers für eine
friedliche Kultivierung des Wunsches nach Überlegenheit
Ich hatte gesagt, der Wunsch nach Überlegenheit finde sich in allen Kulturen
und in Kultur in jeder der vier von mir unterschiedenen Bedeutungen. Diese Möglichkeit,
etwas zunächst einmal als Wunsch zu denken, ohne gleich behaupten zu müssen,
wir hätten es damit schon, diese Möglichkeit verdanken wir zu einem
guten Teil der Arbeit Freuds, die auf eine gewisse christentumskritische Tradition,
insbesondere auf Nietzsche, aufbaut. Die Frage von Kultur im Sinne meiner ersten
Definition würde lauten: Wie gibt es diesen Wunsch, ist er „Kultur“
oder „Natur“? Das kann ich nicht entscheiden, aber mir leuchtet
ein Denkmodell ein, in dem ein sozusagen natürlicher, im nackten Leben
mitgegebener Impuls, Widrigkeiten und die anfängliche absolute Abhängigkeit
des Neugeborenen zu überwinden, alle Versuche, das Unkultivierte zu kultivieren,
antreibt. Allerdings ist wiederum alles, was man mit Neugeborenen tut, und alles,
was man den Kindern mitgibt, offenbar bereits für Variationen offen. Und
so stellen alle Kulturen im Sinne meiner zweiten Definition dem Wunsch nach
Überlegenheit auf unterschiedliche Weisen nach, kanalisieren und strukturieren
und bewerten ihn unterschiedlich. Die Differenzierungen innerhalb einer Kultur
sind wiederum erheblich, besonders wenn man sich die Produktionen des Kulturbereichs
im Ressortsinne anschaut, und das dürfte auch für alle Kulturen gelten.
Nicht nur wir überliefern Caesar, Dionysos UND den Gekreuzigten UND das
babylonische Exil und allen Kult, alle Kunst, alle Literatur um diese herum,
sondern auch die anderen überliefern in ihren Kulturressorts meistens Texte
aus dem Sufismus UND über kriegerisches Eroberertum, literarische Argumente
fürs Morden und Argumente dagegen usw. Allerdings gibt es sehr unterschiedliche
Grenzen für das, was alles nebeneinander stehen darf und unterschiedliche
Härtegrade in den Anforderungen, die in einzelnen Kulturen an die Loyalität
der nennen wir sie jetzt mal Mitglieder gestellt werden. Und an diesen Stellen
fangen die Begriffe zu flimmern an, an diesen Stellen geraten die Einzelnen
in Konflikt mit ihrer jeweiligen kulturellen Umgebung, tragen durch ihre Konflikte
zur Veränderung der Umgebung bei, folgen Maßstäben und setzen
Maßstäbe, die die engen Grenzen irgendwelcher kultureller Identitäten
transzendieren.
Als ich die vierte Definition von Kultur eingeführts habe und gesagt habe, dass die Aufklärung über kulturelle Unterschiede zur friedlichen Beilegung eines Konflikts zwischen Individuen beitragen kann, habe ich in der Parenthese bemerkt, die Gutwilligkeit der Beteiligten vorausgesetzt. Diese Gutwilligkeit ist sicher nichts, was außerhalb von Kulturen entsteht, und auch die Alternative, die Böswilligkeit, nicht. Aber sie sind doch jenseits aller kulturellen Grenzen ein universales moralisches Problem, das zwar wegen der verschiedenen kulturellen Formen, in denen es erscheint, erkannt und verkannt werden kann, von dem aber jeder annehmen muß, dass es hinter allen Formen oder in allen Formen oder als ein Formalismus erkennbar sei. Ich hatte bemerkt, dass gerade im Fall eines Konflikts, den ein einzelner Mensch mit seiner Kultur haben kann, seine letzte Hoffnung, gewissen grausamen Maßnahmen zu entgehen, darin besteht, aus seiner Kultur im Sinne meiner zweiten Definition auszuwandern und Zuflucht bei einer anderen zu suchen – oder, wenn Kampf noch eine Chance hat, innerhalb der eigenen Kultur, sei es unter Berufung auf einen durch sie allein möglicherweise nicht voll akzeptierten moralischen Universalcode, sei es in vehementer Behauptung des eigenen Interesses, um Abwendung von den auch ihn persönlich bedrohenden Grausamkeiten zu kämpfen. Denkt man an gewisse „Barbareien“, die in jeder Kultur herumgeistern, Füße Abbinden, Genitalien Verstümmeln, Ausländerkinder Verprügeln und was dergleichen wunderbare Dinge mehr sind, dann hat man leicht den Eindruck, jede Kultur würde im Sinne der ersten Definition ganz einfach „humaner“, wenn sie sich überzeugen ließe, solche Dinge eher zu strafen als zu fördern, und es wäre selbstverständlich eine Steigerung von Kultivierung, wenn sie es täte. Womit dann die betreffenden Unsitten in den Bereich der Natur fallen würden? Man kann schon da streiten und ebensogut sagen, diese Unsitten sind Perversionen einer überzüchteten und widernatürlichen und deswegen inhumanen Aesthetik und Überkultivierung. Und es würde sich, auch jenseits dieses Streites, womöglich jemand finden, der eben nicht die Kultur (im Sinne von Def. 2) überlegen findet, die ihren Mitgliedern mehr Freiheit erlaubt, sondern gerade die, die einen hohen innerkulturellen Zusammenhalt produziert, wenngleich auf Kosten der Bewegungsfreiheit der einzelnen Menschen. Ich würde nicht einmal den Versuch machen, hier eine anthropologische und fortschrittsorientierte Theorie mit so und so vielen Seinssätzen aufzustellen (solche Versuche werden bei Levi-Strauss und Geertz in den beiden genannten Aufsätzen verhandelt, und noch die Theorie, aus deren Kontext ich den Begriff des nackten Lebens genommen habe, die von Girorgio Agamben, operiert mit notwendigen Seinsbestimmungen). Also eine Theorie, nach der es notwendigerweise besser ist, Kinder zu füttern als sie verhungern zu lassen usw. erscheint immer sinnloser.
Es bleibt wohl jederzeit möglich, auch das Gegenteil zu behaupten und zu wollen, dafür sind historisch keine Beweise mehr vonnöten, und systematisch kann man vor der Wucht der historisch längst geführten Beweise dafür, dass die friedlicheren Verhaltensweisen immer erstmal unterlegen sind, nur verstummen. Oder nützt irgendwem der systematisch phantastisch geführte Beweis bei Augustinus, dass es zwar einen Frieden ohne Krieg, aber niemals einen Krieg ohne Frieden geben könne, irgendetwas, wenn er der wohlorganisierten Miliz von wütenden jungen Männern, die untereinander in bestem friedlichen Einvernehmen leben und handeln, in die Hände fällt? Kaum. Mit oder ohne diesen Beweis wird der, der den Milizen in die Hände gefallen ist, wünschen, dass er ihnen nicht in die Hände gefallen wäre, dass es irgendetwas geben möge, das denen ihren vermeintlichen Vorteil als einen Nachteil vor Augen führt, damit sie von ihm ablassen. Er ist aber auf die Wirkung seiner eigenen Appelle oder Rettung von außen verwiesen, mag er nun nachgewiesenermaßen kulturell überlegen sein oder nicht. Was kann er noch tun? Wir haben die erbärmliche Erfahrung, allzu oft nichts tun zu können. Wissen von dieser erbärmlichen Erfahrung aber scheint das Wasser zu sein, das als eine weisheitliche Strömung alle Kultur durchfließt, sei diese nun gerade auf der Höhe ihrer Differenzierung oder im Tal ihrer Verpöbelung, sei sie nun in technischem Wettstreit der Mehrheit der anderen überlegen oder unterlegen. Diese Weisheit dichtet nichts durch gesetzmäßige Beschreibung dessen, was ist, ab, sondern sie sucht überall dort, wo etwas allzu dicht erscheint, nach einem Ausweg. Sie ergibt sich vielleicht dann und wann in etwas, das ihr als unabwendbares Schicksal erscheint – aber wenn sie es tut, ist in ihrer Ergebung schon wieder ein Keim von Aufstand. Sie ist für jeden zu haben (also auch für den Monotheisten) und verlangt dabei sehr viel. Sie verlangt zum Beispiel, dass das Glück des einen nicht das Leid des anderen sein solle und dass die Schönheit nicht darauf angewiesen sein möge, sich von etwas abzuheben, das dadurch zur Häßlichkeit verurteilt bleibt. Sie verlangt das. Und sie stellt jedem frei, sich diesem Verlangen anzuschließen. Aber sie verspricht niemandem, dass durch Anschluß an ihr Verlangen sein eigenes Verlangen nach Überlegenheit oder Ruhe oder Sicherheit oder Freiheit oder Glück schon restlos erfüllt würde, sie weiß von der Möglichkeit ihres Scheiterns. Sofern von solcher Weisheit Elemente in der westlichen Kultur sind, sofern sie darin zeitweilig stärker erschienen sein mögen als in anderen und stärker als die anderen Elemente, die in unseren Kulturen auch vorhanden sind und sich gegenwärtig mächtig blähen, bereitet es mir keine Mühe zu verstehen, dass viele Menschen, die in anderen Kulturen gefangen saßen, daran teilhaben wollten. Erst wenn unsere hochliberalen Kulturen sich gegen die Neuankömmlinge stellten und von ihnen verlangten, nicht nur ihren verhaßten alten Gewohnheiten, sondern auch ihren geliebten alten Gewohnheiten abzuschwören, verloren sie die Aura friedlicher Überlegenheit, die sie bis dahin gehabt haben mochten, zu recht.
Historisch erzählt
sich das vielleicht leichter: Wenn ein Mensch zugleich Angehöriger eines
strikt patriarchalisch organisierten Nomadenstammes und Bürger des römischen
Reiches war, dann konnte er durchaus die relative Liberalität des Imperiums
der engen Welt seines Stammes vorziehen. Aber mit dieser ersten Spaltung war
wohl der Grund gelegt dafür, dass er dann auch dem Imperium und seiner
Herrschaftsmaschine gegenüber skeptisch und ausbruchswillig wurde. Paulus
ist also vielleicht deswegen zu Zeiten der Politiken kultureller Identitäten
so sehr in Mode gekommen, weil er aus der Alternative zwischen kopfloser Anpassung
ans Weltreich und bockig kleinkariertem Beharren auf sonderkultureller Beschränktheit
den Ausweg in eine andere Wahrheit über aller Kultur suchte. Das ist mehr
als die Suche nach jener einfachen Überlegenheit, die ich für ein
allgemein menschliches Bedürfnis zu halten geneigt bin. Und gerade darum
durchzieht ein Gestus der Überbietung, genauer der überbietenden Aneignung
von etwas, das dann als unterlegen immer dabei sein muß, alle Texte der
christlichen Überlieferung. Dieser Gestus der Überbietung erscheint
mir gegenüber dem der Umwertung der Werte viel dramatischer. Seine starke
Seite ist sehr stark. Es heißt immer noch Sieg und wird immer noch gefeiert,
wenn bei Dostojewski das Allerweichste das Allerhärteste besiegen kann.
Aber das ist ein Sieg, bei dem niemand verliert. Jedenfalls soll es ein solcher
Sieg sein. Ein Sieg, für den niemandem ein Haar gekrümmt werden müßte,
wäre doch sehr viel eleganter als ein Sieg, der hart erstritten wäre.
Das wäre der Sieg der friedlichen Überlegenheit. Man hat ihn nur selten
und sehr teilweise gesehen, aber auf ihn hin den Wunsch nach Überlegenheit,
der möglicherweise unvermeidlich ist, zu kultivieren, ohne sich allzu sehr
zu verkrampfen – das wäre doch eine Aufgabe für Kultur, wie
immer sie es nun und von wo aus anstellte. In Barbarei schlüge sie dort
um, wo sie behauptet, diese Überlegenheit ein für allemal erreicht
zu haben, so dass ihr jede Möglichkeit, ein fremde Überlegenheit anzuerkennen,
verloren geht wie alle Freiheit überhaupt.
Alle diese Ausführungen
lösen die Frage, was denn nun Kultur ist, ganz sicher nicht, ebenso wenig
wie der Film über die Kulturen, die eher sub sind, etwas lösen würde.
Eines allerdings haben der gehaltene und der ungehaltene Vortrag mit Blick auf
die Kultur gemeinsam: ich will mit beiden sagen, dass ich die Rede von Kultur
nur dann für sinnvoll und weiterführend halte, wenn Ziel und Grenzen
der Kultur durch etwas bestimmt werden, das nicht selbst wieder Kultur ist,
und das ist für mich, abstrakt und wolkig und altmodisch wie das klingen
mag, immer noch das Reich der Freiheit, auf das alle kulturelle Bemühung
sich richtet und das dem Recht aller sogenannt kulturellen Veranstaltungen seine
Grenzen setzt. Damit wäre nach meinen Begriffen die Kultur der sozialdemokratischen
Ortsvereine, in denen höchst beschränkt lebende Menschen sich doch
um Mitsprache in weltpolitischen Angelegenheiten bemühen, eine sehr erhabene
Kultur, und die Kultur blasierter Stimmführung und zeitgemäßen
Wortgeklingels, die keinem anderen Zweck als der Expansion eines sinnlose Produkte
herstellenden und vermarktenden Unternehmens dienen, weniger als sub. Kiplings
Gedicht wäre halb einsichtig, halb larmoyant verlogen, insofern eher Kitsch,
und Scott-Herons amüsierte Zurückweisung der Festlegung seines Auftretens
auf „black things“ ziemlich auf der Höhe.
Appendix:
Zitierte Texte
Rudyard
Kipling
The White Man`s burden
Take up the White Man's burden--
Send forth the best ye breed--
Go bind your sons to exile
To serve your captives' need;
To wait in heavy harness,
On fluttered folk and wild--
Your new-caught, sullen peoples,
Half-devil and half-child.
Take up the White Man's burden--
In patience to abide,
To veil the threat of terror
And check the show of pride;
By open speech and simple,
An hundred times made plain
To seek another's profit,
And work another's gain.
Take up the White Man's burden--
The savage wars of peace--
Fill full the mouth of Famine
And bid the sickness cease;
And when your goal is nearest
The end for others sought,
Watch sloth and heathen Folly
Bring all your hopes to nought.
Take up the White Man's burden--
No tawdry rule of kings,
But toil of serf and sweeper--
The tale of common things.
The ports ye shall not enter,
The roads ye shall not tread,
Go mark them with your living,
And mark them with your dead.
Take up the White Man's burden--
And reap his old reward:
The blame of those ye better,
The hate of those ye guard--
The cry of hosts ye humour
(Ah, slowly!) toward the light:--
"Why brought he us from bondage,
Our loved Egyptian night?"
Take up the White Man's burden--
Ye dare not stoop to less--
Nor call too loud on Freedom
To cloke your weariness;
By all ye cry or whisper,
By all ye leave or do,
The silent, sullen peoples
Shall weigh your gods and you.
Take up the White Man's burden--
Have done with childish days--
The lightly proferred laurel,
The easy, ungrudged praise.
Comes now, to search your manhood
Through all the thankless years
Cold, edged with dear-bought wisdom,
The judgment of your peers!
Gill Scott-Heron
Not only has it been a long time we have been involved with ideas that
concern nuclear power, but the world has not noted with little enthusiasm and
little interest the fact that all with a sudden now all over Europe and all
over the world people are starting to voice their concerns about nuclear power.
What we’d
like to say is that nobody can do everything but everybody can do something.
And if everybody does something everything will get done.
So we want everybody
to get involved. We don’t care if you want to freeze it, burn it, bury
it or merely cover it up with something you’re not using anymore.
So, when I first
got involved with nuclear power somebody said:
Gill, why are you dealin with Nuclear power, man, it ain’t no black thing.
And I had to admit they had a point there. Because see nuclear power is an equal
opportunity destroyer. No matter what colour you’r getting into it with,
you’ll glow in the dark. Green will be your final phosphorizing colour.
So we don’t
believe it has to do with black and white, we believe it has to do with life
and death. So we invite everybody to get involved with life and say something
positive about how to get out of here. We’d like to invite you to a sing
that’s called „Shut’em down!“
(Bei einem Life-Konzert in Bremen, Mitschnitt von Radio Bremen 198X)
[1] Institut für Sozialforschung, "Kultur und Zivilisation" in: Ralf Konersmann (Hg.), Kulturphilosophie, Reclam Leipzig 1996 S. 167 (genauere Autorschaft des Textes nach Angabe des Adorno-Archivs nicht möglich und nicht geboten, vgl. Quellennachweis bei Konersmann, S. 369).
[2] Claude Levi-Strauss, "Rasse und Geschichte", in Ralf Konersmann (Hg.), Kulturphilosophie, Reclam Leipzig 1996, S.168-221, hier S.197. Der Text wurde 1952 für die Unesco geschrieben und von Traugott König übersetzt. Ähnlich kann man in einem Vortrag von Arnold Gehlen lesen: "Die physische und geistige Überzeugungskraft der modernen Kultur haben sich als unwiderstehlich erwiesen. Ein Volk und ein Kontinent nach dem anderen haben sich entschlossen oder haben gerade den Entschlu§ gefaßt, ihre ältesten Traditionen abzustreifen, die substantiellen Selbstverständlichkeiten des Gewachsenen preiszugeben, um sich Einlaß in diese neue Welt zu verschaffen." (auch bei Konersmann, S. 222).
[3] A.a.O., S.199.
[4] Gass, William, Culture, Self, and Style, Syracus Scholar 2, 1981, S. 54-68, zit. nach Clifford Geertz, "Anti-Antirelativismu", in Konersmann, op.cit., S. 253-291, hier S. 261.