deutsch Textual Reasoning

Ein Journal des Postmodern Jewish Philosophy Network

 

[März 2006]

Gesine Palmer: Auserwähltheit und Erwählungsneid. Zur Frage von Religion und  friedlicher Unterlegenheit

Erwählung und Ressentiment miteinander zu verbinden, ist nur sinnvoll, wenn man die folgende einfache Beobachtung nicht übergeht: Der Bund zwischen einem Erwählenden und einem Erwählten setzt in sich schon einen Dritten voraus, der nicht erwählt wird. Wo einer erwählt wird, muß mindestens ein anderer nicht erwählt sein, andernfalls wäre die Wahl keine Wahl und der Erwählte nicht erwählt. Der Erwählte und der Nichterwählte haben von Beginn an ihre Passivität gegenüber dem, der erwählt oder nicht erwählt, gemeinsam. Der Nichterwählte könnte sich nun nach der Wahl abwenden, vielleicht in der Hoffnung, von jemand anderem erwählt zu werden. Wenn aber für den Nichterwählten der Erwählende von äußerster und bleibender Wichtigkeit ist, dann kann man sich als Grundgefühl des Nichterwählten kaum ein anderes Gefühl vorstellen als das tiefster Gekränktheit. Dieses Gefühl in seinen zur Aggression treibenden Komponenten kann in der so konstruierten Konstellation nun entweder gegen den Erwählenden oder gegen den Erwählten gerichtet werden.

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