Hartwig Wiedebach

Kleine Bemerkung zu Dieter Adelmanns
"Wissenschaft des Judentums und Reformation"

In der Tat: Die "Wissenschaft des Judentums" unter die Frage zu stellen, ob sie als "Wiederherstellung der Religion" beabsichtigt war, ist ein aparter Gedanke, für den einige Mühe zu investieren sich wohl lohnen mag. Der Gedanke, überhaupt in einer Wissenschaft (oder auch: in den Wissenschaften) nach einer Art von religiösem Auftrag zu suchen, so plausibel das auch in manch älteren Tagen gewesen sein mag, ist inzwischen ferngerückt. Gleichwohl empfinde ich, daß uns diese Überlegung aktuell so nahesteht, ja gewissermaßen in der Luft liegt, daß diese Spannung zwischen Nähe und Ferne allein schon als Empfehlung für Dieter Adelmanns Thesen-Experiment gelten kann.

Aber kaum damit angefangen, schießen die Fragen ins Kraut. Um nur einen einzigen Aspekt anzusprechen: Was heißt hier "Wissenschaft des Judentums". Bezeichnet dieses "des" einen genitivus subjectivus oder einen genitivus objectivus? Schwingt darin mit, daß diese Wissenschaft subjektiv von jüdischen Menschen ausgehen mußte bzw. - da wir ja immer noch mit ihr zu tun haben - daß sie es muß? Oder handelt es sich um eine Wissenschaft, die das Judentum nur als Gegenstand behandelt und daher von Menschen jeglicher Herkunft betrieben werden kann? Der nüchtern-neutrale Begriff Wissenschaft schützt uns üblicherweise vor solchen Ab- und Ausgrenzungen. Dieter Adelmanns These jedoch erzwingt die Unterscheidung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Betreibern der Wissenschaft. Denn wenn diese These Halt bekommen soll, so wäre wohl erst einmal zu vermuten, daß beides gelten muß: daß nämlich diese Wissenschaft sowohl von Juden ausgehen und ihren Zwecken, d.h. ihrer Religion, dienen als auch den Gegenstand "Judentum" behandeln muß. Oder könnte es eine am Judentum erarbeitete "Wiederherstellung der Religion" geben, die auch Nichtjuden vollen Anteil zu nehmen erlauben würde?

Konkret gesprochen: Das "Höre Israel" z.B. kann - so behaupte ich - niemand, der nicht selbst Jude ist, mit dem vollen darin liegenden Gehalt (mit voller Wirksamkeit der "inneren Sprachform", wie Steinthal sagen würde) sprechen. Wie steht es also um eine Wissenschaft, die die liturgische, sprachliche und religiöse Bedeutung des "Höre Israel" erforscht, und die ñ wohlgemerkt: als "Wiederherstellung von Religion" ñ nur einen kleinen Kreis von Menschen angehen konnte (oder kann)? Nennt man das mit Recht "Wissenschaft"?

Weiteres von Hartwig Wiedebach.

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